
02 Apr Das Kanarienvogelprinzip und sein natürlicher Feind – Die Sketchnote
Als Naturwissenschaftler ist man mehr oder weniger häufig dazu angehalten an zahlreichen institutsinternen Seminaren, Vorträgen und Meetings teilzunehmen. Stets 10 min vor der Veranstaltung stellen sich folgende Fragen: Interessiert mich das wirklich? Muss ich zwecks Erscheinungsfrequenz mal wieder hin (Phänomen: Gesehen und gesehen werden)? Oder pipettiere ich doch noch schnell eine Platte, starte das große Experiment und komme hier noch vor Sonnenuntergang raus?
In mindestens 50% der Fälle, sitz man also in der entsprechenden Veranstaltung und trägt zum allgemeinen Unwohlsein des armen Doktoranden bei, der dort vorne über seine Versuchsplanung und die noch nicht so logischen Versuchsdaten auch noch selbstsicher Rede und Antwort stehen muss. Die Einleitung begreift man noch, sobald der Sprechende jedoch zwischen den Balkendiagrammen und Punktwolken nach Erklärungen sucht ist man oft schon selbst in Gedanken dabei den nächsten Versuch zu planen oder fragt sich was es denn heute wohl zum Mittag in der Mensa geben wird. 80% aller anderen Personen im Raum geht es ähnlich. Die restlichen 20% haben Ahnung, die kritisch gefährliche Fragen stellende Masse aus betreuenden PostDocs, Abteilungsleitern und dem Institutsleiter. Dieses Verhältnis bedingt eine statistische hohe Ausfallquote bezüglich der dem Vortrag nachträglich eingeplanten Fragerunde. Es fragen nur die, die Ahnung haben. Was jedoch nicht bedeutet, dass die Fragen leichter zu beantworten wären.
Ich gehörte oft zu den erwähnten 80% und unterlag während dieser Zeit einem fatalen Phänomen. Ich nenne es den Kanarienvogeleffekt. Die Rollos fahren herunter, das Licht geht aus, der Beamer an und ich …werde.. so gähn.. müde. Nach der Einleitung werden meine Augenlieder schwer, solange meine Kaffeetasse noch einen Tropfen des Wunderelixiers enthält bin ich ansprechbar, ist dieser ausgetrunken beginnt der Kampf gegen den Sekundenschlaf den ich IMMER verliere. Tja Pech gehabt, im Gegenzug haben alle, die von meiner Superschwäche wissen einen Heidenspaß mich bei diesem unfairen Kampf zu beobachten. Danke, liebe Kollegen, ..aber gut ich täte es nicht anders.
Auf Dauer wurde ich dieses Schauspiels allerdings überdrüssig. Mit steigender Verweildauer im Institut wächst zudem die Erwartungshaltung der wissenden 20%, dass man sich an diesem Frage und Antwortspiel mit dem Vortragenden beteiligt. Hin und wieder passiert es zudem, dass der eigene Masterand dort vorn steht und man nun wirklich akut in der Pflicht steht wach und zurechnungsfähig zu bleiben. Sicherlich ist man entsprechend aufgeputscht und in großer Erwartung, seinen ‚Zögling‘ dort vorn zu sehen, aber man selbst hat diesen Vortrag schon sechsmal gehört, hat ihn mit einstudiert und vorbereitet. Moment, war da ein Versprecher? Die Achsenbeschriftung ist falsch! Oh das habe ich übersehen. Muss ich in meinen Folien korrigieren? Und schon ist man mit den eigenen Gedanken schon wieder woanders.
Ich stand entsprechend vor einem Problem, fast unlösbar aber ausreichend schmerzend, dass ich mit meiner Frage in die Religion flüchtete. Ich befragte den großen Google Gott. Und er antwortete mir!
Meine Frage war komplex und resultierte in einigen Unklarer Antworten von Seiten seiner Heiligkeit. Final konnte ich es aber eingrenzen und zielgerichteter suchen: ich warf den Köder aus – ordentlich Schreiben, wissenschaftliche Notizen – Bildersuche – und stieß auf einen sehr visuellen Notizenstil. Genannt Sketchnotes. Dazu gab es zwei Bücher die immer wieder auftauchten und deren Rezensionen für sich sprachen, klick, in den Einkaufswagen… und bestellt. Die heimische Begeisterung war groß, und das Konzept schien logisch zu sein. Die Trockenübungen, also das Abzeichnen aus dem Buch sah gut aus. Ob das Ganze auch laboralltagstauglich war sollte sich bald zeigen. Genug Seminare gab es, meine durchschnittliche Teilnahmequote erhöhte sich von diesem Zeitpunkt an signifikant (p≤0,01). Und auch wenn die ersten Versuche nicht danach aussahen als wären das andere, bessere Notizen so war doch eines deutlich verändert. Ich war wach und aufmerksam! Ich lernte zuzuhören und das gesagte nach Bildern zu scannen, die ich in meine Notizen einbauen konnte.
Wie gesagt, Gelegenheiten gab es genug und so war es nur eine Frage meines Durchhaltevermögens und Ausdauer, dass diese Notizen eine längerfristige verwertbare Form erhielten. Die ersten Versuche waren anstrengend, ich hatte sogar das Gefühl länger für Sketchnotes zu benötigen als für meinen bisherigen Notizenstil. Aber ich mochte die Icons, Sprechblasen und Container. Ob nun reine Beharrlichkeit oder wieder ausgegrabenes Talent, das ganze nahm immer mehr Form an und meine Begeisterung wuchs stetig.
Gelegentliche Kongressbesuche wurden damit umso interessanter. Stundenlanges Sitzen und Zuhören war zu meinen Zeiten an der Universität kein Problem, inzwischen fiel mir aber das deutlich schwerer. Sketchnotes lösten dieses Problem. Auch wenn die Themen fern ab meines Fachgebiets waren. Irgendetwas von den Folien ließ sich immer abzeichnen. Im optimalen Fall hatte ich Zusammenfassungen, die ich auch noch nach Wochen deuten konnte und mir meine Notizen sogar halfen mich an weit mehr als nur das Gesagte zu erinnern.
Fazit: man wird nicht von heute auf morgen ein Sketchnoter. Aber übermorgen sieht das ganze schon deutlich besser aus. Die Mühe zahlt sich schnell aus und keine Option zum Üben ist ungeeignet.
Man kann nur besser werden und findet dabei nach und nach seinen eigenen Stil.
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